Finanzierung

Verwässerungsschutz in Finanzierungsrunden (Anti-dilution protection)

Aktualisiert am 10/02/2024

Welche Verwässerungsschutzarten gibt es und wer wird dadurch geschützt?

Im zweiten Teil der Blogreihe gehen wir auf den Verwässerungsschutz (Anti-Dilution Protection) ein. Die Verwässerungsschutzklausel (oder anti-dilution protection clause) schützt Investoren davor, dass ihre Beteiligungsquote (Aktienanteile am Unternehmen in %) überproportional verwässert. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn die nächste Finanzierungsrunde zu einer tieferen Bewertung durchgeführt wird und ein neuer Investor dank der tieferen Bewertung proportional mehr Aktien erhalten würde.

Die Stellung des Aktionärs (Stimmrecht/Gewinnanteil und Liquidationserlös) wird stark durch die Höhe der Beteiligungsquote an der Gesellschaft bestimmt. Eine Kapitalerhöhung birgt daher neben der Verwässerung des Kapitals immer auch das Risiko einer Verwässerung der Stimmrechte. Das Schweizerische Aktienrecht räumt den bisherigen Aktionären mit dem sogenannten Bezugsrecht (Art. 652b OR) das Recht ein, ihre bisherige Beteiligungsquote beizubehalten. Das bedeutet, dass das Unternehmen bei der Ausgabe neuer Aktien diese in der Regel zuerst den bisherigen Aktionären anbieten muss. Dieses Recht ist jedoch nicht zwingend und die bestehenden Aktionäre können auf dieses Bezugsrecht verzichten. Neben dem gesetzlichen Bezugsrecht verlangen Investoren im Aktionärbindungsvertrag häufig einen zusätzlichen Verwässerungsschutz durch eine Verwässerungsschutzklausel.

In Zusammenhang mit dem Verwässerungsschutz werden häufig die Begriffe full-ratchet anti dilution clause“, “broad based weighted averageund “narrow based weighted averageverwendet. Eine sog. full-ratchet Klausel schützt bestehende Investoren am besten, und eine broad based weighted average Klausel liegt eher im Interesse der Gründer, da die alten Investoren mit einer solchen Klausel im Vergleich zur full-ratchet Klausel weniger “Gratisaktien” erhalten. Am allerbesten für den Gründer ist jedoch in der Regel, wenn gar keine Verwässerungsschutzklausel vereinbart wird.

Die Verwässerungsschutzklausel

Die Verwässerungsschutzklausel liegt überwiegend im Interesse des Investors. In frühen Finanzierungsrunden verzichten Investoren häufig noch auf eine solche Klausel im Aktionärbindungsvertrag.

Jede neue Ausgabe von Aktien ist praktisch eine Verwässerung, da sie den Kuchen weiter aufteilt und die Beteiligung der ursprünglichen Aktionäre/Investoren verringert. Einfach ausgedrückt schützt die Verwässerungsschutzklausel die Investoren für den Fall, dass das Unternehmen in den nächsten Finanzierungsrunden Aktien zu einer niedrigeren Bewertung ausgibt (Down-round).

Bei Finanzierungsrunden gibt es zwei Szenarien:

  • Finanzierungsrunde mit einer höheren Bewertung als bei der vorhergehenden Runde:
    • Neue Investoren erhalten für das gleiche Investment wie die alten Investoren verhältnismässig eine kleinere Beteiligung am Unternehmen
  • Finanzierungsrunde mit einer niedrigeren Bewertungals bei der vorhergehenden Runde:
    • Neuen Investoren erhalten für das gleiche Investment wie die alten Investoren einen grössere Beteiligung am Unternehmen

Die Verwässerung der alten Investoren ist also im Falle einer folgenden Finanzierungsrunde zu einer tieferen Bewertung überproportional, da die neuen Investoren nicht nur mehr Aktien erhalten würden, sondern die Investition der alten Investoren aufgrund der tieferen Bewertung zusätzlich an Wert verloren hätte.

Möglichkeiten der Verwässerungsschutzklausel: Weighted average vs. full-ratchet

Zum Ausgleich des Verwässerungseffekts bei einer Finanzierungsrunde zu einer tieferen Bewertung sehen Verwässerungsschutzbestimmungen vor, dass bestehende Investoren zusätzliche Aktien erhalten. Es gibt zwei verschiedene Möglichkeiten, diese “Entschädigung” bzw. die Anzahl zusätzlicher Aktien der “alten” Investoren zu berechnen. Welche Möglichkeit gewählt wird ist entscheidend, da sie einen sehr grossen Einfluss haben kann.

Bei einer full-ratchet Klauselwird der vom “alten” Investor gezahlte Preis pro Aktie virtuell rückwirkend auf den Preis pro Aktie der neuen Finanzierungsrunde reduziert. Aufgrund des tieferen Ausgabepreises erhält der alte Investor zusätzliche Aktien. Auf diese Weise stellt die full-ratchet Klausel sicher, dass die “alten” Investoren in der Lage sind, ihre Beteiligungsquote im Falle einer künftigen Finanzierungsrunde mit tieferer Bewertung zu erhalten (oder sogar zu erhöhen).

Die weighted average protection verwendet eine relative (gewichtete) Formel, um den vom “alten” Investor gezahlten Preis pro Aktie im Verhältnis zum Preis pro Aktie in der neuen Finanzierungsrunde zu reduzieren. Dabei wird, anders als bei der full-ratchet Klausel, auch die Anzahl der Aktien, die in der neuen Finanzierungsrunde ausgegebenen werden, berücksichtigt.

Der gewichtete Durchschnitt ist eine Methode zur Ermittlung des Durchschnittswerts einer Gruppe von Zahlen, bei der berücksichtigt wird, wie oft jede Zahl vorkommt. Das bedeutet, dass der gewichtete durchschnittliche Ausgabepreis (WAIP) nicht nur den Ausgabepreis der neuen Aktien berücksichtigt, sondern auch die Menge der ausgegebenen Aktien im Vergleich zur vorherigen Finanzierungsrunde.

Aus unserer Sicht ist die weighted average Verwässerungsschutzklausel derzeitiger Marktstandard.

Beispiele für full-ratchet und weighted average Szenarien

Um das komplexe Konzept der verschiedenen Verwässerungsschutzklauseln besser zu veranschaulichen und unterscheidbar zu machen verwenden wir einfach nachvollziehbare Rechenbeispiele:

Ausgangssituation:
Ein Investor besitzt 10% eines Unternehmens mit einer Post-Money Bewertung von CHF 5’000’000.

Aktionär Anzahl der AktienInvestitionAnteil in %
Gründer 145’00045.00%
Gründer 245’00045.00%
Investor 110’000CHF 500’00010.00%
Gesamt100’000CHF 500’000100.00%

Nach der nächsten Finanzierungsrunde, an der der ursprüngliche Investor nicht teilgenommen hat, wird das Unternehmen nach der Investition eines neuen Investors von CHF 5’000’000 (d.h. post-money) mit CHF 25’000’000 bewertet. Die Beteiligung des ursprünglichen Investors verringerte sich dadurch von 10% auf 9%.

Bewertung des Unternehmens = 25’000’000

AktionärAnzahl der AktienInvestitionAnteil in %
Gründer 145’00036.00%
Gründer 245’00036.00%
Investor 110’000CHF 500’0008.00%
Investor 225’000CHF 5’000’00020.00%
Gesamt125’000CHF 5’500’000100.00%

In diesem Szenario wurde die Beteiligung des Investors von 10% auf 8% verwässert. Da sich der Wert des Unternehmens jedoch auf CHF 25’000’000 erhöht hat, ist die 8% Beteiligung jetzt CHF 2’000’000 (CHF 25’000’000*8%) wert, verglichen mit CHF 500’000 vor der neuen Finanzierungsrunde (CHF 5’000’000*10%).

Nächste Finanzierungsrunde zu einer tieferen Bewertung und ohne Verwässerungsschutzklausel:

In einer down-round sinkt der Wert der Investition des ersten Investors. Sinkt der Wert des Unternehmens auf CHF 3’000’000 (post-money), erhält ein neuer Investor, der CHF 500’000 investiert, für seine Investition eine Beteiligung von 16,67% am Unternehmen (CHF 500’000/CHF 3’000’000).

Bewertung des Unternehmens = 3’000’000

AktionärAnzahl der AktienInvestitionAnteil in %
Gründer 145’00037.50%
Gründer 245’00037.50%
Investor 110’000CHF 500’0008.33%
Investor 220’000CHF 500’00016.67%
Gesamt 120’000CHF 1’000’000100.00%

Aufgrund der niedrigeren Bewertung des Unternehmens erhielt der neue Investor für die gleiche Investitionssumme von CHF 500’000 doppelt so viele Aktien wie der alte Investor. Zwar hat sich die Beteiligung des ersten Investors nur um 1.67%, von 10% auf 8,33%, geschrumpft, doch die Investition hat erheblich an Wert verloren. Die ursprüngliche Investition von CHF 500’000 ist jetzt nur noch CHF 250’000 wert (8,33% von CHF 3’000’000), d.h. seine Investition hat 50% an Wert verloren.

Hätten sich die Parteien auf eine Verwässerungsschutzklausel geeinigt, wäre der Preis pro Aktie des ersten Investors virtuell geändert worden, um zu bestimmen, wie viele neue “Gratisaktien” der erste Investor erhält, um seine Verwässerung zu reduzieren.

Nächste Finanzierungsrunde zu einer tieferen Bewertung und mit full-ratchet Klausel

In diesem Szenario gehen wir davon aus, dass der Investor eine full-ratchet Verwässerungsschutzklausel verhandelt hat.

Ausgangssituation: Wir beziehen uns erneut auf die Situation vom Anfang: Ein Investor besitzt 10% eines Unternehmens mit einer post-money Bewertung von CHF 5’000’000.

Der Unternehmenswert ist nun auf CHF 3’000’000 (post-money) gesunken. Ein neuer Investor, der CHF 500’000 investiert, erhält für seine Investition ebenfalls eine Beteiligung von 16,67% am Unternehmen (CHF 500’000/CHF 3’000’000). Der vom neuen Investor gezahlte Preis pro Aktie beträgt nur CHF 25, gegenüber CHF 50 pro Aktie, die der ursprüngliche Investor bezahlt hat.

Bewertung des Unternehmens = 3’000’000

AktionärAnzahl der AktienInvestitionAnteil in %
Gründer 145’00037.50%
Gründer 245’00037.50%
Investor 110’000CHF 500’0008.33%
Investor 1
(Verwässerungsschutz-Aktien)
xyz
Investor 220’000CHF 500’00016.67%
Gesamt120’000CHF 1’000’000100.00%

Mit einer full-ratchet Verwässerungsschutzklausel wird der vom ersten Investor gezahlte Preis pro Aktie “virtuell” auf den vom neuen Investor gezahlten Preis (d.h. 25 CHF) geändert. Der neue Investor erhält daher zusätzlich 10’000 Aktien zum Nominalwert (z.B. CHF 2). Zusätzlich erhält der neue Investor für seine Investition von CHF 500’000 nochmals 2’005 Aktien (so dass seine Beteiligung von 16.67% gleichbleibt).

Bewertung des Unternehmens = 3’000’000

AktionärAnzahl der AktienInvestitionAnteil in %
Gründer 145’00034.09%
Gründer 245’00034.09%
Investor 110’000CHF 500’0007.58%
Investor 1
(Verwässerungsschutz-Aktien)
10’000CHF 20’000
(CHF 2 Nennwert)
7.58%
Investor 222’005500’00016.67%
Gesamt132’005100.00%

Dank der full-ratchet Klausel konnte der alte Investor seinen Aktienanteil auf rund 15% erhöhen, indem er lediglich zusätzliche CHF 20’000 investierte. Damit ist sein Anteil nach der Abwärtsrunde immer noch (gerundet) 450’000 CHF wert.

Szenario mit weighted average Klausel

Etwas komplizierter ist die Formel bei einer weighted average Verwässerungsschutzklausel. Ohne auf die Einzelheiten der Formel einzugehen, wird die Anzahl der zusätzlichen Aktien, die der alte Investor erhält, wie folgt berechnet:

Verwässerungsschutz für Aktien = (Investment Investor 1 / Gewichteter durchschnittlicher Ausgabepreis) – bestehende Aktien von Investor 1

Aus dem obigen Beispiel wissen wir, dass der alte Investor 500’000 CHF investierte und 10’000 Aktien (10%) erhielt. Um das Beispiel einfach zu halten, gehen wir von einem WAIP von CHF 40.90 aus. Dies führt zu folgendem Ergebnis (gerundet):

CHF 500’000/CHF 40.90 – 10’000 = 2’225 Aktien gegen Verwässerung

Macht der alte Investor von seinem Verwässerungsschutz Gebrauch, hat dieser das Recht, weitere 2’225 Aktien zum Nominalwert (z.B. CHF 2) zu zeichnen. Zusätzlich erhält der neue Investor für seine Investition von 500’000 CHF weitere 450 Aktien (so dass die Beteiligung des neuen Investors von 16.67% gleichbleibt).

Kapiteltabelle nach der Ausgabe der Anti-Verwässerungsaktien

AktionärAnzahl der AktienInvestitionAnteil in %
Gründer 145’00036.68%
Gründer 245’00036.68%
Investor 110’000CHF 500’0008.15%
Investor 1
(Verwässerungsschutz-Aktien)
2’225CHF 4’450
(CHF 2 Nennwert)
1.81%
Investor 220’450CHF 500’00016.36%
Gesamt122’225CHF 1’004’450100.00%

Mit der weighted average Verwässerungsschutzklausel konnte der alte Investor seine Beteiligungsquote fast halten (9,97% gegenüber 10%). Die Investition des ursprünglichen Investors hat dennoch an Wert verloren. Seine Beteiligung von 9,97% ist immerhinr noch fast CHF 300’000 wert im Vergleich zu den CHF 250’000 ohne Verwässerungsschutz.

Schlussfolgerung

Wenn das Unternehmen im Laufe der Zeit an Wert verliert, können sich neue Investoren zu einem vergleichsweise niedrigen Preis in das Unternehmen einkaufen.

Lies dazu auch unseren Artikel über Pre-Money- und Post-Money-Bewertungen.

Machen die bestehenden Investoren von ihren Bezugsrechten keinen Gebrauch (oder wurden diese von vornherein ausgeschlossen), verliert ihr Investment überproportional an Wert (zusätzlich zum Stimmrechtsverlust).

Eine Verwässerungsschutzklausel schützt die bestehenden Investoren, indem sie den ursprünglich gezahlten Ausgabepreis pro Aktie (virtuell) rückwirkend anpasst und den alten Investoren so ermöglicht wird, zusätzliche “Gratisaktien” zum Nennwert zu erwerben. Dadurch wird der Verwässerungseffekt verringert und die ursprüngliche Investition verliert weniger an Wert.

Michele Vitali

By Michele Vitali

Head of Startup Financing & VC, Legal Expert

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